Dreißig Jahre CSD in Dresden sind noch immer nicht genug
vom Mai 2024
Als 1994 der erste Christopher Street Day in Dresden stattfand, war die Welt noch eine andere. Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches wurde gerade erst endgültig abgeschafft, an gleichgeschlechtliche Ehe oder gar nur eingetragene Partnerschaften war nicht zu denken, eine rechtliche Gleichstellung gab es nicht und die gesellschaftliche Akzeptanz von Schwulen und Lesben bewegte sich auf dem Niveau des Elbpegels im trockenen Hochsommer und eine Therapie, um mit HIV leben zu können, war noch in weiter Ferne. Wer damals offen homosexuell lebte, musste viele Einschränkungen und Diskriminierungen in Kauf nehmen. Ein Bewusstsein für trans*, inter* und queer war oft noch nicht mal in der Community verankert.
Nun, 30 Jahre später, begehen wir den nunmehr 31. CSD in Dresden. Und die Welt hat sich verändert. Vieles, wofür damals gekämpft wurde, ist nun erreicht. Vieles, woran man damals kaum dachte, gehört heute wie selbstverständlich zu einem Christopher Street Day in Dresden. Wir haben viel erreicht, wir haben uns viel erkämpft. Aber das heißt nicht, dass man sich nun einfach zurücklehnen und davon ausgehen kann, dass alles so bleibt, wie es ist. Gerade in letzter Zeit erlebt man Stimmungen, die längst akzeptiert Geglaubtes infrage stellen
Aber auch das Erreichte kam nicht von allein. Die laute und starke Stimme der Community und der CSDs hat viel erwirkt. Schritt für Schritt wurden Gesellschaft und Politik überzeugt, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Auf diese Erfolge können wir zurecht stolz sein! Aber die Erfolge müssen nicht von Dauer sein.
Mit Sorge sehen wir die zunehmende Gefahr einer gesellschaftlichen Rückentwicklung. Mit dem Erstarken rechter Parteien können sicher geglaubte Errungenschaften schnell wieder infrage gestellt werden. Das sieht man nicht zuletzt im europäischen und außereuropäischen Ausland, aber auch zunehmend hierzulande.
Hier gilt es, stark zu bleiben, Fortschritte nicht herzugeben sowie Politik und Gesellschaft immer wieder daran zu erinnern, dass Gleichstellung kein Randthema, sondern Menschenrecht ist.
Und gerade in diesem Jahr steht hier viel auf dem Spiel: bei der Kommunal- und Europawahl am 9. Juni und bei der Landtagswahl am 01. September. Jede dieser Wahlen ist für uns, die LGBTIQ+1 Community, entscheidend. Entscheidend, ob es in Dresden weiter Unterstützung für die Vereine gibt. Entscheidend, ob Europa LGBTIQ+ feindlichen Regierungen weiter die Stirn bieten kann. Und entscheidend, ob es in Sachsen auch weiter eine Regierung gibt, der unsere Belange wichtig sind und das erhalten bleibt, was die Community in den letzten Jahren aufgebaut hat.
Lassen wir uns nicht täuschen: Wer immer noch glaubt, das alles gehe ihn:sie nichts an, weil ihn das Problem der Ausgrenzung oder Verachtung selbst nicht betrifft, der:die steckt den Kopf in den Sand. Wo AfD & Co. hinwollen, muss mittlerweile allen klar sein. Das trifft uns alle. Aber wir alle können auch etwas dagegen tun. Als Erstes natürlich: wählen gehen. Und als Zweites, Drittes und Viertes: für unsere Rechte einstehen, sichtbar sein, die Stimme erheben. Das muss für uns alle möglich sein. Und genau dafür gibt es den CSD.
Lasst uns auch in diesem Jahr ein gemeinsam und extrabuntes (Regenbogen-)zeichen GEGEN Gleichgültigkeit und Wegschauen und FÜR mehr Gleichberechtigung, Respekt, Liebe und Akzeptanz setzen!
Auch nach der Landtagswahl und für Koalitionsverhandlungen bleiben unsere Forderungen bestehen:
Politische Forderungen des CSD Dresden e.V
- Auskömmliche Förderung und Unterstützung der LGBTIQ+ Vereine und Organisationen
Der Landesaktionsplan „Vielfalt“ muss verstetigt und ausgebaut werden. Die Vereine brauchen für ihre Bildungs- und Aufklärungsarbeit Verlässlichkeit. Die ist mit projektbezogener Förderung nicht mehr gegeben, wie viele Beispiele abgelehnter Förderbescheide zeigen. Eine institutionelle Förderung für Strukturen muss endlich umgesetzt werden.
- Gleichstellung als Priorität in der Regierung
Der Stellenwert der Gleichstellung darf nicht geschmälert werden. Sie muss auch weiterhin Anliegen der gesamten Staatsregierung und nicht nur einzelner Koalitionspartner:innen sein.
- Gesellschaftliche Akzeptanz stärken
In Teilen der Bevölkerung gibt es wieder wachsende Vorbehalte gegenüber LGBTIQ+. Das zeigen die neuesten Erhebungen des Sachsen-Monitors. Ein Drittel der Sachsen empfindet gleichgeschlechtliche Beziehungen noch immer als unnatürlich. Selbst bei unter 30-Jährigen hat mehr als ein Viertel eine solche Einstellung. Anstatt mit Sprachverboten gegen das Gendern ins Feld zu ziehen, sollte der Freistaat mit mehr politischer Bildung, Aufklärungsarbeit und klarer Ächtung von Homophobie für positive Veränderungen sorgen. Dazu gehört auch, gesellschaftliche Vielfalt, zum Beispiel in offiziellen Publikationen, abzubilden.
- Durch Bildung Akzeptanz lernen
Innerhalb der Institution Schule erleben Kinder und Jugendliche einen bedeutenden Abschnitt ihres Lebens. In ihr setzen sie sich mit gesellschaftlich wichtigen Basiskenntnissen und -kompetenzen auseinander und lernen diese in der Gemeinschaft. Umso wichtiger ist es deshalb, dass auch in der Schule nicht nur eine große Bandbreite an verschiedenen Liebes- und Lebensformen sowie Geschlechtlichkeiten thematisiert wird, sondern auch entsprechend gemeinsam Akzeptanz, Offenheit und Pluralität gelebt werden.
Gleichzeitig müssen sich diese Werte auch schon in Kindertagesstätten niederschlagen. Wir fordern daher eine bessere Aufklärung an sächsischen Schulen durch eine verstärkte Behandlung im Unterricht und zu Projekttagen. Lehrpläne sind entsprechend anzupassen. Außerdem muss Diskriminierung an sächsischen Schulen besser entgegengewirkt und die Unterstützung für Jugendliche verbessert werden. Zudem sollen Lehrkräfte und Erzieher:innen durch entsprechende Aus- und Fortbildungen für die Belange von LGBTIQ+ aufgeklärt und sensibilisiert werden.
- Homo- und Transphobie ächten
Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTIQ+ muss konsequent verfolgt werden. Dazu gehört es auch, dass bei den Behörden auf besondere Belange der Geschädigten Rücksicht genommen wird. Es darf für nicht-heterosexuelle Menschen keine No-Go-Areas geben!
Wir fordern die Parteien und Abgeordneten im Landtag auf, sich aktiv mit den Belangen der LGBTIQ+ Community auseinanderzusetzen.
- Die Abkürzung „LGBTIQ+“ steht international für einzelne Richtungen in der vielfältigen Regenbogen-Gemeinschaft: L für lesbian/lesbisch, G für gay/schwul, B für bisexual/bisexuell, T für „trans*“ steht für transgender/transgeschlechtlich und transsexual/transsexuell, I für intersex/ intergeschlechtlich, Q+ für „queer+“ steht für die Vielzahl weiterer sexueller und geschlechtlicher Identitäten. ↩︎